H. Mouritsen: The Roman Elite and the End of the Republic

Cover
Titel
The Roman Elite and the End of the Republic. The Boni, the Nobles and Cicero


Autor(en)
Mouritsen, Henrik
Erschienen
Anzahl Seiten
322 S.
Preis
£ 75.00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Jannik Lengeling, Abteilung für Alte Geschichte und Rezeptionsgeschichte der Antike, Universität Bern

Im Mittelpunkt des neuesten Buches von Henrik Mouritsen (im Folgenden: M.) stehen die im Untertitel erwähnten boni (die Guten), deren Existenz „as a social category in its own right“ (2) M. nachweisen will. Mit boni werde im Sprachgebrauch der zeitgenössischen spätrepublikanischen Quellen ein Teil der erweiterten römischen Elite bezeichnet, der sich durch seinen Reichtum auszeichne, so die zentrale These des Buches, die M. in der Einleitung (S. 1–6) erläutert. Dass die boni von der Forschung bislang nicht als reale soziale Gruppe erkannt worden seien, erklärt M. aus der Forschungsgeschichte: Da die Forschung zur späten römischen Republik lange der Vorstellung von zwei „Parteien“, Popularen und Optimaten, angehangen habe, seien die boni stets den Optimaten (den „Besten“) zugeschlagen worden. Nachdem dieses „Parteienmodell“ nun obsolet ist1, gelte es, die in den Quellen verwendeten Begriffe einer neuerlichen Untersuchung zu unterziehen. Folgerichtig konzentriert sich M. auf „close readings“ der Quellen und deren terminologische Feinheiten (S. 2), wobei Cicero als wichtigster Autor immer wieder im Zentrum des Interesses steht. Den Umgang mit ciceronischen Texten erläutert M. im zweiten Abschnitt der kurzen Einleitung (S. 6–11): Er möchte einen „pragmatic middle course“ (S. 7) einhalten und warnt vor übertriebener Skepsis. Jede Stelle sei in ihrem textlichen und historischen Kontext zu betrachten (S. 9).

Die eigentliche Arbeit ist in drei Teile untergliedert: In „Part 1: The Boni in the Late Republic“ (S. 13–83) geht M. von Kritik an modernen Übersetzungen, Lexika und begriffsgeschichtlichen Studien aus, die den materiellen Bedeutungsaspekt von bonus zugunsten moralischer und politischer Konnotationen ausgeblendet hätten (S. 15–23). Die materielle Seite des Begriffs versucht er im Anschluss nachzuweisen und gelangt so zu Antworten auf die Frage, welche Gruppe als boni bezeichnet worden sei: Entweder sei im engeren Sinne eine distinkte Gruppe gemeint gewesen, die hinsichtlich ihres Reichtums und ihres sozialen Status unterhalb des Ritterstands anzusiedeln sei, oder im weiteren Sinne die gesamte Elite (Senatoren, Ritter und boni im engeren Sinne). Zwar hätten die boni zwischen den obersten Statusgruppen und der Plebs gestanden, doch dürfe man sie nicht als Mittelstand missverstehen, denn in Rom habe es aufgrund der Sklavenwirtschaft eine große Kluft zwischen Arm und Reich gegeben. Auch die boni zählten zur reichen Elite und bildeten den Pool, aus dem sich Nobilität und Ritterstand rekrutierten. Der elitäre Dreiklang aus nobiles, equites und boni spiegele sich in der Zusammensetzung der Geschworenengerichte nach der Reform im Jahr 70 wider, als ein Drittel der Geschworenen von den Aerartribunen gestellt wurde, deren Identität der Forschung immer noch Rätsel aufgibt – M. will in ihnen nun die Spitze der boni erkannt haben (S. 63–68). Die boni seien auch diejenigen gewesen, die das Forum bevölkerten und die Volksversammlungen – sowohl die Wahlen als auch die beratenden contiones – besuchten. M. bekräftigt seine Ansicht2, dass in Rom die Eliten die Politik dominierten und die breite Masse kaum partizipiert habe.

Der zweite Teil des Buches (S. 85–197) ist dem Zusammenhang von Reichtum, Moral und Politik gewidmet. M. beschreibt die boni vergleichend wie moderne „Gentlemen“, für die Wohlstand ein, aber nicht der einzige konstitutive Teil ihrer Identität gewesen sei. Zentral sei für den vir bonus die Wahrung des väterlichen Erbgutes gewesen; abgegrenzt habe man sich vor allem gegen Verschuldung, weil diese egestas, Bedürftigkeit, hervorrufe, von der alle anderen Verfehlungen ausgingen. Als zentrales politisches Ziel der boni arbeitet M. otium heraus: Ruhe, Stabilität und die Bewahrung der Eigentumsordnung. Generell sei die Gruppe jedoch eher unpolitisch gewesen und habe kaum politische Positionen vertreten, wie es überhaupt in Rom keine der Moderne vergleichbare Politik gegeben habe. Weil es keine politischen Inhalte gab, wurde stets auf persönlich-charakterlicher Ebene argumentiert (S. 112f.).

In dritten Teil (S. 199–289) untersucht M. zuerst das Verhältnis der boni zur Nobilität. Erstaunlicherweise sei Kritik an der politischen Klasse bei den boni auf fruchtbaren Boden gefallen. M. macht eine Spaltung innerhalb der Elite aus, die sich im Laufe der späten Republik noch vertieft habe. Dass dennoch immer wieder nobiles aus bekannten Familien gewählt wurden, erklärt er mit einem Mangel an Alternativen und der Macht der Tradition (S. 235f.). In Kapitel 15 (S. 237–268) überträgt M. schließlich seine systematischen Überlegungen auf konkretere historische Situationen, indem er nach einem knappen Überblick über die späte Republik (S. 237–242) die Haltung der boni in den Bürgerkriegsjahren 50/49 (S. 242–257) und 44/43 (S. 257–268) untersucht.

Angesichts des ausbrechenden Bürgerkriegs hätten sich die boni zu Ciceros Ärger neutral verhalten, weil sich seit Caesars Milde von Corfinium abzeichnete, dass nicht Caesar die Eigentumsordnung bedrohen würde, sondern die Pompeianer, die Neutralität verurteilten und mit Proskriptionen drohten.3 Da die boni zuvor passiv geblieben waren, habe sich Cicero nach Caesars Ermordung besonders um ihre Mobilisierung bemüht. Zu diesem Zweck stellte er Antonius und seine Anhänger als Bedrohung für Eigentum, Frieden und otium dar.

Nicht zuletzt vor diesem Hintergrund unternimmt M. in Kapitel 16 (S. 269–282) eine Neubewertung der politischen Bedeutung Ciceros. Die Stärke seiner Position sei unterschätzt worden, weil bislang nicht erkannt worden sei, dass Cicero der Fürsprecher und Interessenvertreter der boni war. Diesen verdanke er seinen Aufstieg und seine prominente Position nach Caesars Ermordung, auch wenn die meist unpolitische Gruppe ihn zwischenzeitlich mit ihrer Apathie im Stich ließ. Im Epilog (S. 283–289) skizziert M., wie Augustus gewissermaßen in Ciceros Fußstapfen trat, indem er die Nähe zu den boni und die Wahrung ihrer Interessen mit der starken militärischen Position verband, die Cicero abgegangen war.

Das Buch schließt mit drei Appendices, Literaturverzeichnis und Index. Der erste Appendix verzeichnet Cicero-Passagen, in denen boni als soziale Kategorie vorkommt, und ergänzt somit den Index. In Appendix 3 (S. 298–304) vertieft M. seine wenig überzeugende Lesart von Ciceros zweiter Rede de lege agraria (siehe auch S. 154–162). Die Arbeit wartet mit streitbaren Thesen zu unterschiedlichen Themen auf. Den Quelleninterpretationen, auf denen diese Thesen beruhen, kann ich nicht immer folgen. Einige Beispiele seien im Folgenden stellvertretend herausgegriffen und diskutiert.

M. kommt dreimal (S. 25, 117, 120) auf eine Stelle in einem Cicero-Brief an Atticus vom Februar 49 zu sprechen (Cic. Att. 8,1,3). In diesem erklärt Cicero angesichts des gerade ausgebrochenen Bürgerkriegs, er wolle das Kommende lieber mit den sogenannten boni ertragen, als den Anschein zu erwecken, nicht mit ihnen übereinzustimmen, obwohl er schon kommen sehe, dass Rom bald voll von boni, also sauberen und reichen Leuten sein werde, besonders wenn die Munizipien aufgegeben würden. Im Kontext des Briefes ist meines Erachtens klar, dass die letzte Bemerkung ironisch gemeint ist: Cicero beschwert sich zuvor über die Taktik des Pompeius, Rom und Italien aufzugeben und sein Heer nach Übersee abzuziehen. Das Verlassen der Munizipien bezieht sich also nicht, wie M. meint, auf die reiche Landbevölkerung, die aus ihrer Heimat nach Rom reisen werde, sondern auf das pompeianische Militär und seine senatorische Führung. Rom werde demnach nicht mit boni vom Land vollgestopft sein, sondern mit Caesars Anhängern, denen Pompeius den Weg zur Hauptstadt freigemacht hat. Boni ist hier natürlich ironisch gemeint, denn Cicero erwartet von Caesars Anhängern, dass sie sich an den in Rom zurückgelassenen Gütern bereichern werden. Die boni, von denen Cicero eingangs spricht, sind hingegen diejenigen Senatoren, die mit Pompeius Italien verlassen und deren Flucht er sich widerwillig anzuschließen plant. Von einer anderen sozialen Gruppe ist hier somit nicht die Rede.

Ein weiteres Missverständnis liegt vor, wenn M. in Ciceros Philippischen Reden Einsatz für den Frieden erkennen will (S. 267). Er belegt dies unter anderem mit Verweis auf zwei Stellen: In einer schreibt Cicero sich zu, stets für den Frieden eingetreten zu sein (Cic. Phil. 7,7), in der anderen verspricht er Frieden (Cic. Phil. 8,10). Wer in beiden Reden weiterliest, sieht jedoch schnell, dass Cicero gerade gegen Frieden argumentierte. In der siebten Rede sagte er ausdrücklich: „Ich will keinen Frieden mit M. Antonius.“4 Darauf läuft auch die Argumentation der achten Rede hinaus. Generell predigte Cicero in den Philippischen Reden Krieg und nicht Frieden; er kritisierte immerzu diejenigen, die sich für Diplomatie und Verständigung einsetzten. Seine (früheren) Bemühungen um Frieden stellte er nur deshalb heraus, weil er als Kriegstreiber attackiert wurde.

Ebenfalls bezweifle ich, dass Ciceros Position zu dieser Zeit so stark war, wie M. vermutet (S. 269: „the effective leader of the res publica“). Wenn Cicero sich großen Zuspruch aus verschiedenen Bevölkerungsgruppen zuschreibt, würde ich seiner Darstellung nicht folgen, sondern davon ausgehen, dass er diese Unterstützung für seine Sache erst herbeireden wollte.5

Andere Quellen hätten meines Erachtens eine ausführlichere Behandlung verdient, weil sie der zentralen These des Buches entgegenstehen. In einem Brief an Atticus aus dem Dezember 50 geht Cicero auf die offenbar vorausgegangene Aussage seines Briefpartners ein, die Guten oder halbwegs Guten hätten keinen Zweifel, was er tun werde.6 Cicero fährt fort, er wisse nicht, von wem Atticus spreche, jedenfalls nicht, wenn die boni als Stand (ordo) gemeint seien. Anschließend geht er die Kandidaten durch, die Atticus im Sinn gehabt haben könnte: den Senat, Steuerpächter, Geldverleiher, Bauern. Offenbar war keineswegs klar, wer die boni waren.

Die Schlussfolgerung, dass die boni mitnichten eine reale soziale Gruppe bildeten, drängt sich auch bei der Lektüre weiterer Quellen auf. Interessant wäre beispielsweise, die These anhand der ciceronischen Empfehlungsschreiben zu prüfen, auf die M. nur vereinzelt eingeht, denn hier würde man am ehesten erwarten, konkrete Einzelpersonen vorzufinden, die dieser Gruppe angehören. Eine grobe Durchsicht des 13. Buches der Briefe ad familiares, das voller Empfehlungsschreiben ist, ergibt jedoch einen enttäuschenden Befund.7

Die Kernthese des Buches vermag somit nicht zu überzeugen. Über einige der Quelleninterpretationen, die M. vorlegt, lässt sich streiten und nicht alle werden seine Sicht auf Politik in der späten Republik teilen. Die Stärken des Buches liegen in den Ausführungen zu Reichtum und Ungleichheit und in seiner Vielfalt: So wird es zweifellos weitere Diskussionen zur römischen Sozialstruktur, zur Begriffsgeschichte, zu Cicero und zur Geschichte der späten Republik anregen.

Anmerkungen:
1 M. verweist dafür auf die Arbeit seiner Schülerin M. A. Robb, Beyond Populares and Optimates. Political Language in the Late Republic (Historia Einzelschriften 213), Stuttgart 2010.
2 Vgl. schon Henrik Mouritsen, Plebs and Politics in the Late Roman Republic, Cambridge 2001. Wenn M. als Beleg dafür Ciceros Pro Flacco heranzieht (69), übersieht er, dass Cicero hier römische Volksversammlungen idealisiert darstellt, um griechische als chaotisch abzuwerten und so den Zeugen der Anklage ihre Glaubwürdigkeit abzusprechen. Dass römische contiones keineswegs so ruhig sind, klingt durch, wenn Cicero beiläufig sagt, Leute aus dem Osten störten auch Volksversammlungen in Rom (Cic. Flacc. 17).
3 Dieser Abschnitt hätte profitiert von dem wichtigen Buch von Robert Morstein-Marx, Julius Caesar and the Roman People, Cambridge 2021, das wahrscheinlich zu spät erschien, als dass M. es noch hätte berücksichtigen können.
4 Cic. Phil. 7,8: pacem cum M. Antonio esse nolo. Und wenig später noch mal, 7,9: Cur igitur pacem nolo? Vgl. auch 7,19; 7,21.
5 Vgl. Christoph Lundgreen, amicusinimicushostis. Die Philippischen Reden Ciceros und der Umgang mit radikaler Devianz, in: Marian Nebelin / Claudia Tiersch (Hrsg.), Semantische Kämpfe zwischen Republik und Prinzipat? Kontinuität und Transformation der politischen Sprache in Rom (Historische Semantik 31), Göttingen 2021, S. 373–415, hier S. 393.
6 Cic. Att. 7,7,5 (knapp besprochen auf S. 47, 115).
7 Es gibt weniger viri boni als optimi viri. Während Cicero einige der Empfohlenen klar als Angehörige des Ritterstands kennzeichnet (in Cic. fam. 13,11 und 13,51 sind sie übrigens Ritter und boni, was nicht zu M.s These passt), ist bonus in der Regel nur eines von vielen Adjektiven, das die moralische Qualität einer Person beschreibt. Zwei dieser boni scheinen zudem keine Römer zu sein (13,1,2 und 13,25).

Redaktion
Veröffentlicht am
Redaktionell betreut durch
Klassifikation
Mehr zum Buch
Inhalte und Rezensionen
Verfügbarkeit
Weitere Informationen
Sprache der Publikation
Sprache der Rezension